"Eine neue Ära der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte"
21. Jun 2006
Gemeinsame schriftliche Erklärung der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten des Ökumenischen Rates der Kirchen (KKIA/ÖRK), der Franciscans International (FI) Nichtregierungsorganisationen mit allgemeinem Beraterstatus und dem Lutherischen Weltbund, den Dominikanern für Gerechtigkeit und Frieden und Pax Christi International Nichtregierungsorganisationen mit besonderem Beraterstatus
Eine neue Ära der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte
Nach den Erfahrungen und aus der Sicht der Kirchen ist schon seit langem klar, dass Frieden, Entwicklung und Menschenrechte untrennbar miteinander verbundene Grundlagen für die Förderung der von Gott jedem einzelnen Menschen verliehenen Würde und für das Wohl der Gemeinschaften sind, in denen wir alle leben. Die Anerkennung der Menschenrechte, einer der Stützpfeiler der Vereinten Nationen neben Sicherheit und Entwicklung , deckt sich mit diesen Erfahrungen und dieser Sichtweise. Die UnterstützerInnen dieser Erklärung begrüssen deshalb die Gründung des Menschenrechtsrates, der als Organ innerhalb des Systems der Vereinten Nationen diejenige Instanz sein soll, in der sich diese Priorität widerspiegelt.
Auch die Menschenrechtskommission, die inzwischen fast weltweit ihre Glaubwürdigkeit eingebüsst hat, erwarb sich Verdienste im Kampf um die Menschenrechte, wenn deren Bedeutung heutzutage auch allzu leicht vergessen oder unterbewertet wird. Die Formulierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und vieler anderer grundlegender Vertragswerke des internationalen Menschenrechts durch die Kommission bedeutete einen Meilenstein in der Entwicklung nicht nur des Völkerrechts, sondern auch der menschlichen Gesellschaften und der Politik. Die Vorstellung, dass es mit rechtlichen Mitteln und Systemen möglich sein könnte, Regierungen für die Schaffung der Grundvoraussetzungen für die Achtung der Menschenwürde in die Pflicht zu nehmen, war und bleibt eine vorwärtsweisende, mutige Neuerung in der innerstaatlichen und globalen Art und Weise des Regierens.
Die Kommission hat (trotz gegenteiliger Eindrücke in der letzten Zeit) letztlich unter Beweis gestellt, dass sie kreativ und flexibel auf die Stimmen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen reagieren konnte. Trotz der Behinderung durch das vorherrschende weltpolitische Umfeld übertraf die Kommission die Vorstellungen und Erwartungen ihrer Gründerväter, denn sie schuf ein System von Sonderverfahren zur Beobachtung, zur Berichterstattung und zu Empfehlungen im Blick auf spezielle Menschenrechtsprobleme und -situationen. Darüber hinaus hat die Kommission mit ihren nachgeordneten Organen Verfahren eingeführt, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die Mitwirkung ermöglichten, die inzwischen Modelle dafür bieten, wie die Beziehungen zwischen der UNO und den Zivilgesellschaften am besten zu gestalten sind.
Was die Kommission im Blick auf die Durchsetzung der von ihr geschaffenen Standards erreichen konnte, war, und darüber herrscht Einverständnis, natürlich zu wenig und kam oftmals zu spät. Eine stärkere Konzentration auf die wirksame Durchsetzung dieser Standards ist nicht nur wünschenswert, sondern von wesentlicher Bedeutung. Theoretisch mag der Menschenrechtsrat in dieser Hinsicht über grössere Möglichkeiten verfügen. Ob er dieses Potenzial aber auch wirklich nutzen kann, wird sich daran erweisen, in welchem Masse sich für Menschen, die unter Diskriminierung, Entbehrungen, Unterdrückung und Gewalt leiden, die Chancen für ein Leben in Würde und in lebensfähigen Gemeinschaften tatsächlich verbessern.
Das von der Menschenrechtskommission eingeführte System der Sonderverfahren wurde zum wichtigsten Instrument für die wirksamere Durchsetzung der internationalen Menschenrechtsstandards. Die von der Vollversammlung verabschiedete Resolution Nr. 60/251 bezeichnet in ihrem § 6 ein System von Sonderverfahren zutreffend als eine der ersten Errungenschaften der Menschenrechtskommission, die vom Rat als Erbteil übernommen werden soll. Die UnterstützerInnen dieser Erklärung sprechen sich nachdrücklich für ein starkes, unabhängiges und mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattetes System von Sonderverfahren aus. Die Sonderverfahren haben die Arbeit der Menschenrechtskommission aufs engste an die Basis herangetragen und zusammen mit den NGOs, die an den Kommissionssitzungen teilnahmen die Basis aufs engste in die Beratungen der Kommission einbezogen. Die Kommission hat allerdings nicht vermocht, ihre Sonderverfahren selbst hinreichend zu beachten, und brachte weder für die Mandate genügend finanzielle Mittel auf, noch sorgte sie für ausreichend Zeit zur Beratung ihrer Berichte und Empfehlungen. Über diese Unzulänglichkeiten muss der Rat nachdenken, wenn er sich mit dem überkommenen System der Sonderverfahren auseinandersetzt. Die Kommission hatte bereits damit begonnen, im Wege eines interaktiven Dialogs die Berichte über Sonderverfahren sorgfältiger zu erörtern. Der Rat sollte sich diesen Ansatz zu Eigen machen und dafür sorgen, dass die NGOs in diesen Dialog einbezogen werden.
Wir hoffen, dass der Rat bei seiner ersten Sitzung alle von der Kommission übernommenen Mandate um mindestens ein weiteres Jahr verlängern wird, um Schutzlücken und den Abbruch von Verfahren während der Prüfungszeit zu vermeiden. Der Rat wird sich auch mit den ausstehenden Berichten der fünf zwischenstaatlichen Arbeitsgruppen befassen und darüber entscheiden sowie über den Entwurf über eine internationale Konvention über Fälle von Verschwindenlassen und den Entwurf einer Erklärung zu den Rechten der indigenen Völker befinden müssen. Das würde die Initiativen für noch anhängige Rechtssetzungen der Kommission zu einem erfolgreichen Abschluss bringen und schon zu einem frühen Zeitpunkt ein deutliches Zeichen für das Engagement des Rates für wirksame Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte auf der ganzen Welt setzen.
Die Einführung eines weltweiten periodischen Überprüfungsprozesses lässt erwarten, dass begründete Klagen über ein selektives Vorgehen ausgeräumt werden können, und wäre demzufolge eine begrüssenswerte Neuerung. Einerseits wäre es für die Glaubwürdigkeit und Effektivität dieses Prozesses wesentlich, dass es sich dabei um mehr als nur oberflächliche Überprüfungen handelt. Andererseits darf dieser Prozess aber auch die Zeit und die Kapazität des Rates nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Deshalb müssen entsprechende Modalitäten festgelegt werden, nach denen die Vorbereitung und die Nacharbeit zu den Überprüfungen nach diesem Prozess soweit wie möglich nachgeordneten Gremien übertragen werden, die im Idealfall mit unabhängigen ExpertInnen besetzt sein sollten. Die konkrete Arbeit des Menschenrechtsrates sollte sich auf die Annahme von Empfehlungen konzentrieren, die von den nachgeordneten Gremien zur Beratung durch den Rat vorzubereiten sind. Eindeutig sollten entsprechende Empfehlungen/Bemerkungen von Gremien für Sonderverfahren und Verträge einen Teil der Grundlage für diese Überprüfungen bilden. Es sollte auch dafür gesorgt werden, dass die NGOs in den Überprüfungsprozess einbezogen werden. Ausserdem sollte auch die Realisierung freiwilliger Verpflichtungen und Engagements seitens der Länder im Zusammenhang mit Wahlen zum Menschenrechtsrat als Grundlage für die Überprüfung genutzt werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob das betreffende Land auch gewählt worden ist.
Die Praxis der freiwilligen Verpflichtungen und Engagements ist bei der ersten Wahl zum Menschenrechtsrat bereits weltweit von den kandidierenden Staaten akzeptiert worden. Wir begrüssen das bei dieser Wahl angewandte Verfahren, das ein hoffnungsvolles Zeichen für die Kultur dieses neuen Organs und für die Verantwortungsbereitschaft seiner Mitglieder gesetzt hat. Wir hoffen, dass es auch bei allen künftigen Wahlen zum Rat weltweit praktiziert werden wird. Der Wahlprozess selbst hat eine neue Dynamik der Verantwortlichkeit ausgelöst, da jedes Mitglied des Rates einzeln und separat gewählt worden ist. Wir sind angesichts dieser Entwicklungen umso optimistischer, dass sich in diesem neuen Organ eine neue, noch positivere Kultur herausbilden wird.
Wir sichern dem neuen Menschenrechtsrat als einem wesentlichen internationalen Instrument zur Förderung von Gerechtigkeit und Menschenwürde unsere Zusammenarbeit zu. Wir erwarten vom Menschenrechtsrat seinerseits eine entsprechende Verpflichtung und die Eröffnung eines wahrhaft offenen Raumes für NGOs und für die Anhörung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, der ärmsten und verwundbarsten Glieder unserer Gesellschaften. Die Kommission hat mit der Praxis der NGO-Mitwirkung bereits wichtige Vorbedingungen dafür geschaffen. Diese Praxis und die formalen Vorkehrungen, auf denen sie beruht hat eine Basis geschaffen, über die, wie wir hoffen, der Menschenrechtsrat noch hinauswachsen wird.
Abschliessend beten wir darum, dass die erste Sitzung des Menschenrechtsrates, aufbauend auf das in der Vergangenheit Erreichte, tatsächlich den Weg in eine neue Ära der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte weisen und sich mit den Unzulänglichkeiten der Vergangenheit kritisch auseinandersetzen wird. Wir beten darum, dass Menschen, nicht PolitikerInnen treibende Kraft im Menschenrechtsrat und sein vorrangiges und eigentliches Ziel die Achtung der allen Menschen innewohnenden Würde sein werden.